Publikation: „Wie ersetzbar ist der Mensch? Zu den Grenzen der Technik“ (Essay)

Mein anlässlich des Wissenschaftlichen Essaypreises des FIPH 2019 verfasster Essay Wie ersetzbar ist der Mensch? Zu den Grenzen der Technik ist kürzlich als Teil eines Sammelbandes im Dresdner Verlag Text & Dialog erschienen.

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(c) Text & Dialog

Kurz berichtet hatte ich über den Essay bereits vergangenes Jahr. Bei dem unter der Preisfrage Welche Technik? ausgeschriebenen Wettbewerb erhielt ich den 2. Preis. Als mein erster Literaturpreis bedeutet er mir viel und motiviert mich, diesen Weg weiter zu verfolgen.

Der unter dem gleichnamigen Titel erschienene Band enthält nun die drei Preisschriften, von welchen Michael Klenk und Martin Sand mit Prometheus‘ Legacy. Responsibility and Technology den 1. Preis erhalten haben und Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff den 3. mit Über die Unfestgelegtheit des Menschen im Zeitalter seiner Profilierung. Überlegungen zur Frage: Welche Technik? – abgerundet wird das Büchlein durch ein Vorwort von Ulrich Hemel und Jürgen Manemann sowie die bei der Preisverleihung gehaltene Laudatio von Birgit Recki, die auch Herausgeberin ist.

Prometheus‘ Legacy

Klenk und Sand schlagen in ihrem Essay eine Neuinterpretation des Prometheus-Mythos vor. Der listige Titan Prometheus stiehlt den Göttern das Feuer und muss hierfür eine drakonische Strafe erleiden. Klenk und Sand erklären, dass viele Philosophen hierin eine Parabel für die moralische Verantwortung gesehen haben, welche der durch Technik fortlaufend erweiterte Handlungsspielraum des Menschen mit sich bringe. Dies kommentieren sie zunächst mit der Feststellung, dass diese Haltung der Sichtweise der Götter entspricht: Dem Menschen eine solche Verantwortung zuzuschreiben entspricht ja der Auffassung, dass die Strafe der Götter gerecht sei. Die Folgerung müsste sein, dass der technologische Fortschritt zu stoppen sei, weil er sonst zu einer Bürde führe, die vielleicht Götter, jedoch keine Menschen schultern können. Klenk und Sand halten das für eine absurde Konsequenz und plädieren dafür, die Geschichte vielmehr aus Sicht des Prometheus zu betrachten. Prometheus schaffe mit dem Feuer nicht nur neue Verantwortlichkeit, sondern antworte bereits auf eine solche, nämlich auf die Angewiesenheit des Menschen auf die Technik. Analog wollen Menschen, die neue Technologien entwickeln, damit zunächst Probleme lösen, nicht kreieren. Dabei stellen die Autoren fest, dass die Götter-Perspektive, indem sie diese Frage nach der Motivation für Technik auslässt, stets auch die Frage übergehe, ob Technologie überhaupt das geeignete Mittel sei, gegebene Probleme zu lösen. Sie plädieren für einen demokratischen Umgang mit der Technik, der eben nicht nur die Frage stellt, welche Technik die richtige sei, sondern immer auch thematisiert, ob eine technische Lösung überhaupt der richtige Ansatz sei – der Mensch dabei als Mensch und nicht als Gott.

Über die Unfestgelegtheit des Menschen im Zeitalter seiner Profilierung

Maschewski und Nosthoff widmen sich zunächst der – der Götterperspektive wohl verwandten – Rhetorik der Alternativlosigkeit, mit welcher Technik oft propagiert wird. Augenzwinkernd stellen sie fest, dass Technik und technischer Fortschritt, die den Menschen nach gängigem Vertändnis eigentlich zur Freiheit von oder in der Natur dienen sollten, selbst mit Naturmetaphern präsentiert werden, wenn etwa im Zuge des Innovationsdiskurses von „tektonischen Verschiebungen“ oder von „Erdbeben“ gesprochen wird: als wäre die Technik nun plötzlich selbst eine Naturgewalt – oder der Hegelsche Weltgeist, der sich Stufe um Stufe emporschwingt, unerbittliches Gesetz der Geschichte. Maschewski und Nosthoff analysieren sodann die Macht- und Zwangsdynamiken, die Technik umgibt in Zeiten, in denen wir mithin Sklaven des Smartphones sind. Schließlich skizzieren sie mögliche Wege, der Technik – die ihrer Meinung nach, wie auch die „Unfestgelegtheit“, für das Menschsein konstitutiv ist – ihren ursprünglichen Impetus der Freiheit zurück zu geben.

Wie ersetzbar ist der Mensch?

Was mich betrifft, bin ich als Philosoph noch jung, was bedeutet, dass meine Ideen sich rapide weiterentwickeln. Den Essay schrieb ich Anfang 2019, vor anderthalb Jahren. Geprägt von Edmund Husserls Phänomenologie, die für mich einen radikalen transzendentalen Idealismus beinhaltet (= Bewusstsein und Geist ist Voraussetzung aller Erkenntnis und lässt sich nicht durch Erkenntnis oder Technik nachträglich wegdiskutieren), stelle ich potenzielle und prinzipielle Unterschiede zwischen einem Menschen und einem Computer dar, welche auch angesichts von machine learning, big data, neuronalen Netzen und allerhand Algorithmen bestehen bleiben. Der Essay ist dabei auch eine Reaktion auf Yuval Hararis Bestseller Homo Deus, welches ich kurz zuvor gelesen hatte, wenngleich ich das nirgends thematisiere.

Mittlerweile bin ich von Husserl zu Martin Heidegger und über Heidegger zu Jacques Derrida gelangt und würde sehr zögern, mich noch als Idealisten zu bezeichnen. Bewusstsein halte ich nach wie vor für nicht reduzierbar, meine Argumente sind auch wesentlich die gleichen geblieben – jedoch achte ich bei alledem sehr darauf, inwiefern Bewusstsein selbst kein Ding an sich ist, sondern erst aus einem Diskurs heraus „gesetzt“ wird. Anstelle der Diskussion darum, ob und inwiefern der Geist existiert oder gar die Welt geistig ist, sehe ich als größeres Problem mittlerweile eher die Art und Weise, wie mit der Materie, der Natur, dem Greifbaren und Körperlichen „umgegangen“ wird.

Hier findet sich aber zugleich der archimedische Punkt, an welchem ich meinem Selbst von letztem Jahr weiterhin zustimmen würde: Dass ein zentrales Missverständnis der technisch-reduktionistischen Herangehensweise an die Wirklichkeit darin besteht, Natur und Natürliches schließlich selbst als Technik oder Maschine aufzufassen. Wenn Natur Technik ähnelt, ist die plausiblere Erklärung zunächst doch wohl, dass Technik von Natur inspiriert ist und nicht umgekehrt. Jüngst habe ich mir für die unsachgemäße Umkehrung dieses Verhältnisses die einfache Bezeichnung „Natur-Technik-Fehlschluss“ überlegt. Dieser Fehlschluss liegt etwa dann vor, wenn der menschliche Körper als Maschine oder sein Nervensystem als Computer betrachtet wird; besonders impliziert wird sie durch das bekannte Bild eines anthropomorph gestalteten Roboters, eines „Androiden“, wie er auch das Cover des Buches ziert. Zu beachten ist dabei auch, dass moderne Technik stets einen deduktiven, redliche Naturforschung jedoch einen induktiven Zugang zur Wirklichkeit bedeutet. Nun setzt man bei big data zwar zunehmend auf heuristische und damit induktive Methoden, jedoch beruhen auch diese noch auf vormals deduktiv entworfenen Technologien. Dass man Deduktion und Induktion hier so leicht durcheinander bringt, hängt wohl auch mit dem erkenntnistheoretisch unhaltbaren Glauben zusammen, die Physik arbeite sich (induktiv) zu „Naturgesetzen“ vor, aus denen sich die Wirklichkeit dann quasi (deduktiv) ableiten lasse. Gilbert Ryle formuliert es eigentlich schon sehr schön:

The hearsay knowledge that everything in Nature is subject to mechanical laws often tempts people to say that Nature is either one big machine, or else a conglomeration of machines. But in fact there are very few machines in Nature. The only machines that we find are the machines that human beings make, such as clocks, windmills and turbines. (Gilbert Ryle. The Concept of Mind. Penguin, London 2000, S. 79)

Ich sehe nicht, weshalb digitale Technologie hier irgendeine Ausnahme darstellen sollte.

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