Verbreitete Fehlannahmen zur Entropie und zum zweiten Hauptsatz der Thermodynamik

In Daniel Kehlmanns Erzählung „Mahlers Zeit“ versucht ein junger Physiker, der Fachwelt seine revolutionäre Theorie zum Wesen der Zeit zu vermitteln. Die Geschichte nimmt wahnhafte, psychotische Ausmaße an und endet tragisch. Momente der Klarheit gibt es dennoch, und in manchen von ihnen lässt Kehlmann seinen Protagonisten jene ominöse Größe namens „Entropie“ sowie den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik erklären. Mir fielen hierbei einige Fehler auf, was ärgerlich ist, denn es lässt vermuten, Kehlmann habe bei seiner Recherche für das Buch lediglich populärwissenschaftliche Literatur zu Rate gezogen, während er bei einem so schwierigen Thema vielleicht einen Fachmann hätte konsultieren sollen. Umso ärgerlicher ist es, weil mir die Erzählung sonst sehr gut gefiel.

Die Irrtümer bestehen in folgenden Aussagen:

  1. Entropie sei ein Maß für die „Unordnung“ eines Systems.
  2. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, welcher im wesentlichen besagt, dass die Entropie eines Systems mit vergehender Zeit nur zunehmen könne, sei das einzige bekannte physikalische Gesetz, welches irreversibel ist.
  3. Aus dem zweiten Hauptsatz lasse sich schlussfolgern, dass das Universum am Ende seiner Entwicklung dem Wärmetod anheim fallen werde.

Doch warum darüber schreiben? Weil diese Aussagen symptomatisch sind. Sie sind symptomatisch für in diesem Bereich vorherrschendes Halbwissen, für leichtfertigen Umgang mit komplizierten abstrakten Theorien und für gedankenlose Pauschalisierung. Schließlich tauchen diese Aussagen bei Kehlmann nicht zum ersten Mal auf. Es folgen meine Antworten auf obige Aussagen. Weiterlesen

Erinnerung: Gedanken über Urknall und Urkluft

Einst war das Alter, da Ymir lebte:
Da war nicht Sand nicht See, nicht salz’ge Wellen,
Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,
Gähnender Abgrund und Gras nirgend.¹

Der „gähnende Abgrund“ des Weltentstehungsmythos aus der germanischen Edda ist besser bekannt unter dem Namen „Ginnungagap“. Übersetzen lässt er sich auch als „Kluft“, und hierin entspricht er eins zu eins dem „Chaos“ aus der griechischen Mythologie, aus welchem dort die Welt hervorging.

Ich fand es immer faszinierend, dass unsere Vorfahren bereits die Idee eines Nichts, eines Abgrunds, einer Kluft als Ursprung der Welt hatten. Diese Kluft ist nicht der Weltraum, welcher ja oft nicht als Nichts, sondern in Form von konzentrischen Sphären vorgestellt wurde – denn im obigen Zitat heißt es explizit: „Nicht Erde fand sich noch Überhimmel“. Diese Urkluft reicht tiefer als der Himmel. Weiterlesen