Die von der HARP herausgegebene Philosophiezeitschrift Narthex veröffentlicht in ihrer siebten Ausgabe (Winter 2021/22) meinen Essay Welt und Staub. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit der Thumm-Stiftung, in deren Preisausschreiben ich (beziehungsweise mein anonymisierter Essay) den zweiten Platz belegt habe.
Die HARP ist die Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie und hat sich, anknüpfend an Nietzsche, dem Bestreben verschrieben, mit heiterer Seelenruhe über den Tellerrand der jeweiligen Moden hinaus zu blicken. Der Eos-Preis für philosophische Essayistik 2021 galt der Frage: „Geht die Welt unter?“
Ich antworte: Die Welt geht nicht unter, aber sie ist verloren. Der moderne Mensch hat sie verloren, indem er es vollbracht hat, sich kontinuierlich aus ihr herauszudefinieren und Institutionen und Strukturen zu errichten, die diesem Selbst- und Weltverständnis entsprechen. Das Kuriose an der herrschenden Untergangsstimmung ist, dass sie immerzu durch die Wissenschaft vermittelt bleibt: Die Wissenschaft macht über die Welt als solche keine Aussage, insofern „die Welt“ in keiner wissenschaftlichen Theorie auftaucht. Die Welt ist keine positivistische Größe; sie lässt sich nicht vermessen. Andererseits wäre nach materialistischen Kriterien selbst das Ende von Planet Erde noch kein Ende des Seins, wäre doch ohnehin alles nur sinnloser Sternenstaub. Die Welt als solche ist vielmehr als dynamisches, immer auch politisches Beziehungs- und Bedeutungsgefüge zu denken, das sich einer rein an Daten und Fakten orientierten Herangehensweise entzieht. Selbst die systemtheoretisch unterfütterte Ökologie erreicht – bei allem guten Willen – diese Ebene nicht, da sie zwar die Beziehung kennt, nicht aber die Bedeutung. Die auf die Zukunft projizierte Sorge um den Weltuntergang ist mutmaßlich ein Spiegelbild der kollektiven geistig-seelischen Verfassung im Jetzt. Insofern die Welt bereits verloren ist, dürfte die Zukunft entweder einen „Weltaufgang“ bringen – eine „Wiederkehr der Welt“ – oder etwas völlig anderes, Unerwartetes, wie es ja immerfort zu erwarten gilt.
Beeinflusst bin ich – wie der Kenner ahnen mag – dabei von Martin Heidegger, aber auch von dem chinesischen Philosophen Zhao Tingyang, genauer gesagt von seinem Werk Alles unter dem Himmel: Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung, das anders, als man zunächst vermuten könnte (und gelegentlich liest), keine ideologische Apologetik von Chinas aktueller Politik bietet.
Den ersten Preis erhalten Robin Forstenhäusler, Laurids Heltschl und Askan Schmidt (Vorläufiges zum Ende. Gestalten apokalyptischen Bewusstseins), den dritten erhält Viet Anh Nguyen Duc (Der freie Geist, sein Untergang und die Utopie). Zum Release der Zeitschrift das zugehörige YouTube-Video:
Abschließend möchte ich noch mit folgender Anmerkung dem Perfektionismus fröhnen und der Humanität dienen: In meinem Essay ist mir ein flapsiger Satz über die Gender-Debatte herausgerutscht, der in seiner Wortwahl reaktionär und inhaltlich wenig bereichernd wirken könnte. Es ging mir dort primär um das westliche Konzept personaler „Identität“ als moralischer Größe – das ich für irreführend halte, da meine Identität nicht angibt, was ich tatsächlich bin, sondern nur die Meinung, die ich von mir selbst habe –, und entsprechende Positionen der Gender-Debatte sollten hierfür lediglich als Beispiel herangezogen werden. Keineswegs sollte das eine pauschale und undifferenzierte Verurteilung darstellen. Die irreführende Wortwahl war dennoch ein rhetorischer Griff ins Klo, für den ich nur um Entschuldigung bitten kann. Zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit der Thematik geht es hier.