„Idealismus“ bedeutet in der Philosophie nicht dasselbe wie in der Alltagssprache. Philosophischer Idealismus ist die Annahme, dass einem wie auch immer gearteten „Geist“, einer „Vernunft“ oder anderweitig „Höherem“ eine wichtige oder gar primäre Stellung in der Wirklichkeit zukommt. In der Alltagssprache ist ein „Idealist“ ein „Gesinnungsethiker“, ein „Realist“ hingegen ein „Verantwortungsethiker“. Beide Idealismen haben zumindest eins gemeinsam: Unter Leuten, die sich mit ihnen beschäftigen, sind sie aktuell zumeist verschrien. Doch ich neige zu der Auffassung, dass nicht nur die Philosophie, sondern jegliche Erkenntnis per se idealistisch ist, dass sie gar nicht anders als idealistisch sein kann.
Denn jeder Philosoph glaubt in irgendeiner Weise an die Macht der Vernunft. Andernfalls erschiene sein Tun vor allem als Nichtstun – und wäre damit nicht als verantwortungsethisches Leben zu rechtfertigen, weder vor Anderen noch durch ihn selbst vor sich selbst. Postmoderne Philosophen und andere Akademiker mögen die Vernunft zu dekonstruieren scheinen, bis nichts als Gewalt mehr von ihr übrig bleibt. Doch ihr eigenes Tun straft sie Lügen: Die Universität ist der ökonomische Ausdruck der Vernunft; das Buch, der Fachartikel, die in wohlgeformten Buchstaben organisierte Schrift ist ihr materieller Ausdruck. Ein misanthropischer Kulturpessimist, der sein Tagewerk mit Texten und Büchern ableistet, wirkt wenig überzeugend. Für die sich zumeist materialistisch gebende Naturwissenschaft gilt eigentlich nichts anderes: Auch hier wird auf die Macht von Vernunft, Logik oder zumindest Mathematik geschworen – oder auch nur auf die „Daten und Fakten“, als ob diese ihrerseits wieder die materielle Welt in sich aufheben und tragen würden. Und wenn der Mensch sich heutzutage immer mehr durch den Computer selbst ins Abseits stellt, so bleibt doch auch der Computer als „Rechner“ ein technisches Abbild der Vernunft, nicht umsonst ist von „künstlicher Intelligenz“ und lauter „smarten“ Dingsdas die Rede.
Das ist bemerkenswert, da es der beliebten antihumanistischen Setzung zuwiderläuft, der Mensch sei „nur ein Tier unter vielen“. Viele Menschen mögen in der Tat wie Ameisen in ihrem Bau durch die Straßen huschen, um an Fließbändern oder auch in Forschungslaboren die ihnen zugewiesene Arbeit zu verrichten. Vieles von dem, was ihr Leben öffentlich wie privat bestimmt, mag „historisch bedingt“, „sozial konstruiert“ oder „genetisch determiniert“ sein. Doch ich habe bisher noch keine Ameisen oder anderen Tiere gesehen, die Fließbänder oder Forschungslabore errichten, die Bücher schreiben, Computer konstruieren und durch die Hallen Athens schreitend über den Sinn des Lebens philosophieren.
Ja, die Vernunft hat durchaus dunkle Seiten, die Aufklärung übergeht allzu leicht ihren eigenen Schatten, welcher umso finsterer ausfällt, je heller ihr strahlendes Licht sich gibt. Dieser Schatten muss immer mitgedacht werden, da führt kein Weg dran vorbei. Insofern ist die Geschichte der Aufklärung durchaus auch die des Kolonialismus, des technischen Kontrollwahns und menschlicher Hybris. Doch diese Aspekte heben die Aufklärung nicht auf.
Bereits die Kritik an der Vernunft geschieht doch ihrerseits wieder in der Hoffnung, das Wesen der Vernunft zu erkennen. Wer die Aufklärung kritisiert, wiederholt auf diese Weise im Wesentlichen Kants Vernunftkritik, das Wort „Kritik“ hatte bei ihm nur scheinbar eine andere Bedeutung. Die Postmoderne, die durchaus wichtige Erkenntnisse geliefert hat, mag diesbezüglich auf den „performativen Selbstwiderspruch“ verweisen und behaupten, die Vernunft gleichsam von innen heraus zu dekonstruieren. Jacques Derrida philosophiert mit seiner „Grammatologie“ unaufhörlich über die Schrift, insbesondere die alphabetische Schrift, und prangert dabei ihren „Logozentrismus“ an. Bei alledem verbleibt er jedoch völlig in ihren Konventionen, macht es sich in ihnen gemÜHHHTlich, zum Beispiel macht er nich#?\!!!@wax7//} oder nutzt different COUULÖRS, Bücher mit verschiedenen Seitengrößen, kaputze Bücher, e$$bare Bücher oder ähnliches 😉 Weil er das Denken nur noch als Tun nimmt, kann er dem Umstand nicht mehr genügend Rechenschaft ablegen, dass zwischen Worten und Taten sehr wohl noch ein Unterschied besteht. Dadurch bildet er sich ein, dass er nur dekonstruktiv genug denken muss, um ansonsten die Hände in den Schoß legen zu können – eine reichlich idealistische Einstellung, die dadurch, dass sie unerkannt bleibt, jederzeit ins Pathologische abgleiten kann.
In einer Zen-Geschichte präsentiert der Meister dem Adepten einen Krug und fragt ihn, was das ist. Der Adept nimmt den Krug, zerbricht ihn und geht. Der Meister ist zufrieden.
Derrida würde dagegen versuchen, so geschickt wie möglich dem Meister zu erklären, dass es sich einerseits zwar schon um einen Krug handle, dass aber nicht nur seine Erkenntnis, sondern schon sein Sprechen über diesen Krug keineswegs als neutral gelten könne, sondern seinerseits in vielerlei Hinsicht historisch bedingt sei und er, indem er dies anmerke, die Erkenntnis zugleich mit-dekonstruiere, aber darauf bilde er sich natürlich nichts ein, denn er sei darin natürlich auch nur Teil des Systems, und Karl Marx ist zwar längst überholt, aber manches ist doch noch interessant, aber Kant sollte man ja auch nicht unterschätzen, aber eigentlich müssen wir bis zu Platon zurückgehen, wobei wir diesen natürlich auch nur aus der heutigen Perspektive betrachten, und zwar vor allem hinsichtlich der Frage, wie oft in seinen Texten das Ypsilon auftaucht, aber wir dürfen das nicht im traditionellen Verständnis von Geschichtlichkeit und Zeit, von Zeitlichkeit und Historie verstehen. Der Meister wäre enttäuscht von diesem Herumgedruckse und wüsste, dass der Adept noch einen weiten Weg vor sich hat. Vielleicht gäbe es den einen oder anderen Stockschlag.
Sicher hatte auch Karl Marx Recht, wenn er in der Mainstream-Philosophie seiner Zeit Rationalisierungs- und Rechtfertigungsstrategien von Privilegierten sah. Doch auch hier gilt wieder, dass Philosophie nicht in Rationalisierung aufgeht. Bei Marx führte die Ermangelung dieser Einsicht zu der heute undenkbaren Behauptung, dass der Kommunismus keineswegs eine Idee sei, sondern eine ebenso anonyme wie neutrale geschichtliche Notwendigkeit. Wir kennen die Konsequenzen. In Wahrheit blieb auch Marx zeitlebens Idealist, sein verleugneter Schicksalsglaube kann uns hier als Mahnmal dienen.
Besser wäre es doch, anzuerkennen, dass das Streben nach Erkenntnis überhaupt idealistisch ist. Worte und Taten stimmen bei Akademikern und privaten Erkenntnis-Liebhabern dann überein, wenn das eigene Tun als Prämisse in das Denken einfließt: Als Philosoph verhalte ich mich idealistisch, deswegen passt mein Denken nur dann zu meinem Verhalten, wenn ich darin von einem entsprechenden Idealismus ausgehe. Der Idealismus muss das Materielle, das Fühlbare und zugleich Dunkle nicht geringschätzen; ich selbst bin durchaus darauf bedacht, es ganzheitlich zu verstehen, so weit, wie meine Intuition, mein Intellekt, mein Körper, meine Persönlichkeit und meine Motivation mich hier bringen. Doch indem ich philosophiere statt handwerke, setze ich eben bereits entsprechende Prioritäten. Diese Wertsetzungen im Nachhinein abzustreiten wäre nichts als Heuchelei.