Der Verkehrslärm, der in der Stadt allgegenwärtig ist, ist vielleicht so etwas wie eine physische Manifestation des allgemeinen Tumults in den Medien.
Jedenfalls hatte er vor einigen Jahren begonnen, mich zunehmend zu stören. Insbesondere bei innerstädtischen Wald- und Parkbesuchen vermochte der durch die Bäume gebotene „Sichtschutz“ nicht mehr, mich von der hintergründigen Lärmbelastung abzulenken. Vogelzwitschern machte mich erst recht auf sie aufmerksam. Es heißt ja hin und wieder, dass wir eine auf das Sehen fokussierte Gesellschaft seien, bei welcher das Hören aus dem, nun ja, „Blickfeld“ zu geraten drohe. Smartphone-Displays erhalten eine immer bessere Auflösung, aber der von dem Gerät produzierte Klang bleibt zumeist blechern wie eh und je.
Ich kann es gut verstehen, wenn Menschen sich mit Kopfhörern vor dieser Umgebung verschließen. Diese ersetzen den Lärm durch die jeweils eigene Lieblingsmusik. Ähnlich benötigt es in der städtischen Umwelt stets vier undurchdringliche Wände – am besten auch hier die eigenen – um so etwas wie Stille herzustellen. Diese Stille ist jedoch nicht etwa die aus dem Buddhismus („Offene Weite, nichts von heilig“): sie ist keine offene Stille, sondern offenkundig eine verschlossene, durch Ein- und Abgrenzung gewonnene. Sie ist der Stille der Isolation, der Einsamkeit und in dieser Hinsicht bloß eine Negation des Lärms „da draußen“.
Als ich 2017 dann für ein halbes Jahr nach Norwegen ging, wurde der Straßenlärm durch das Tosen von Wasserfällen ersetzt. Die meiste Zeit über musste ich nur nach draußen auf den Hof gehen und konnte um mich herum ein gutes Dutzend von Wasserfällen erblicken, vor allem aber hören. Wenn es ein paar Tage lang mal nicht regnete, versiegten die Wasserfälle, und dann war es weitgehend still, wie es auf den Hochebenen sowieso immer der Fall war. Forstarbeiten brachten auch hier Maschinenlärm ins Tal, aber immerhin nicht so dauerhaft wie in der Stadt.
Das Beachtliche ist, dass das Rauschen der Wasserfälle keineswegs leiser gewesen sein dürfte als der Verkehrslärm in der Stadt. Doch es hatte auf mich eine völlig andere, tief befriedigende Wirkung, wie sie sicher auch bei anderen Naturphänomenen auftritt, etwa beim Donnergrollen. Der Physiker in mir wundert sich darüber, dass die subtile Beschaffenheit einen so großen Unterschied machen kann, wirkt doch beides in erster Näherung wie weißes Rauschen bei gleicher Lautstärke. Interessant wäre, was ein Audiologe dazu zu sagen hätte.
Seit ich zurück bin, kann ich jedenfalls weitaus besser mit dem Lärm umgehen. Ich nehme ihn nach wie vor wahr, leide jedoch nicht mehr so sehr darunter. Anfangs hatte ich noch Sorgen, dass das nur temporär sei, mittlerweile ist es jedoch lange genug her, um diese Wirkung zumindest als längerfristig einstufen zu können. Ich bin hier, um ein Modewort zu benutzen, wohl „resilienter“ geworden. So einen Unterschied kann eine tiefgehende Naturerfahrung machen.
„Der größte Teil an einem Schmerz ist der Widerstand gegen ihn“
Beim Lärmempfinden lässt sich das besonders gut mittels Selbstbeobachtung nachweisen.
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