Unabhängig davon, ob man die Maßnahmen gegen Corona für angemessen, übertrieben oder untertrieben hält, für zielführend oder nicht, für ein sozialistisches, kapitalistisches oder technokratisches Machtinstrument – unabhängig davon kann man es doch beachtlich finden, wie bereitwillig sich die meisten Menschen ihnen fügen. Hier scheiden sich dann schon wieder die Geister, für manchen ist es gesunder Menschenverstand, für manch anderen soziale Verantwortung, für manchen Autoritätshörigkeit. Corona scheint plötzlich all jene Sachzwänge auszuhebeln, von denen sich unsere lieben Realpolitiker sonst so gepiesackt fühlen.
Ja, Corona wurde der Krieg erklärt, und wie im Krieg üblich werden parteiliche Streitereien weitgehend beigelegt, man hat jetzt der höheren Sache zu dienen, ein noch größerer Sachzwang steht also über all den kleineren, welche uns sonst so plagen. Der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel, selbst, wenn zu den ausgehebelten Sachzwängen geltende Grundrechte gehören.
Ich möchte hier nichts vorschnell be- und verurteilen. Mich interessiert an dieser Stelle nur, woher diese Bereitwilligkeit kommt, und ich möchte eine Idee äußern, die ich zumindest noch nirgends gefunden habe: Vielleicht kommt der Wille zum Verzicht ja auch schlicht aus einem kollektiven Bewusstsein des Überflusses, in dem wir leben. Für die ganzen Kleinunternehmer sieht es momentan zwar nicht gerade nach Überfluss aus, und für die Tagelöhner Indiens sicher auch nicht, ihnen werden große Opfer abverlangt beziehungsweise aufgenötigt. Nichtsdestotrotz haben in den letzten anderthalb Jahren die Diskussionen um den Klimawandel massiv zugenommen, allgemein scheint sich ein Bewusstsein für die ökologische Krise breit zu machen, zu welchem natürlich auch unser Konsumverhalten gehört.
Was wäre denn, wenn es der Wille zum Verzicht ist, der uns so bereitwillig und ohne viel Gezeter verzichten lässt? Ich würde sagen: Verzicht fällt immer dort leicht, wo man zu ihm gezwungen wird, wo man keine Wahl hat. Mit der Staatsgewalt im Hintergrund haben wir hier nicht viel Wahl, der Sachzwang gibt sich alternativlos. Das führt allerdings zu der Sorge, dass, wenn der kalte Entzug an diversen Konsum- und anderen Gütern beendet wird, auch das Konsumverhalten nach wenigen Wochen wieder das alte sein wird.
Wenn wir weiter auf Überflüssiges verzichten wollen – wozu soziale Kontakte natürlich nicht zählen – bleibt jedoch eine Hoffnung: Wenn sich genug Ökosysteme ausreichend regenieren, um hinreichend sichtbare Veränderungen zu erleben, oder wenn sich die Natur auf andere Weise zeigt, vielleicht sogar im Alltag, vielleicht kann der kalte Entzug sich dann als nachhaltige Therapieform erweisen, zumindest als ersten Schritt. Aber wer weiß das schon. Alle Fragen bleiben offen.
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