Zdzisław Beksiński: Die Zeit und das Nichts

https://art.vniz.net/en/beksinski/Beksinski-x128.html

Gem. 1 (1979, 87 x 73 cm)

Zu den düsteren Werken Zdzisław Beksińskis gelangte ich einst – wenig überraschend -, als ich mich auch musikalisch den dunklen Künsten hingegeben hatte. Dieser wichtige Lebensabschnitt ist weitgehend vorbei, aber manchmal schaue ich doch zurück, und kürzlich nahm ich wieder das Bilderbuch „The Fantastic Art of Beksinski“ aus dem Morpheus-Verlag zur Hand.

Diesen Künstler in eine Kategorie quetschen zu wollen, wäre ein komplett verfehlter Ansatz. Gleiches lässt sich über jegliche Deutungsversuche sagen, sei es die klassische Interpretation oder eine psychologische Analyse des Künstlers. Es ist Beksińskis Werken anzumerken, dass er stilistisch Einzelgänger war: Er mochte sich fantastischer und surrealistischer Mittel bedient haben, nutzte diese jedoch stets nur als ebendiese: als bloße Mittel zu ganz eigenen Zwecken. Zudem war er Autodidakt, kann vielleicht schon dadurch schwerlich einer „Szene“ zugeordnet werden. Die in seinen Gemälden vermittelte Stimmung ist einzigartig, seine Kunst zutiefst individuell. Deutungsversuche scheitern, weil aus seinen Bildern trotz aller Morbidität eine impenetrable, eine monolithische Ganzheit spricht, die der Betrachter nicht analysieren, der er sich nur hingeben kann wie ein Christ den Händen Jesu. Will man seine Werke dennoch deuten, handelt es sich dementprechend weniger um eine Interpretation als um eine Exegese. Der Unterschied zwischen beiden: der Betrachter weiß, dass das, was er auslegt, größer ist als er selbst.

https://art.vniz.net/en/beksinski/Beksinski-pic7.html

Gem. 2 (1975, 98 x 122 cm)

Wo wir gerade beim Thema sind: Christliche Motive finden sich durchaus. Kreuze (oft T-förmig reduziert), Friedhöfe, Kathedralen. Das diffuse Licht, der spezifische Dunst, Rauch und Nebel, aus welchen gleichsam synästhetisch ein modriger Geruch hervorzugehen scheint, dazu noch abgemagerte, verwesende Kadaver – sie nehmen diesen Symbolen jedoch ihre Unbescholtenheit und geben ihnen eine ganz andere Dimension. Sie deswegen als antichristlich zu werten, wäre jedoch das Dümmste und Trivialste, was sich sagen ließe. Ähnlich verhält es sich mit all den Soldaten, Ruinen und dem Schrott, in welchen Bezüge zum zweiten Weltkrieg vermutet wurden, welche Beksiński sogar selbst leugnete.¹ Selbst, wenn die Gemälde vordergründig so inspiriert gewesen sein mögen, vermitteln sie doch etwas Anderes – Größeres. Schönes.

Überhaupt scheint jeder Figur eine gänzlich andere Bedeutung innezuwohnen, als sie vordergründig zu haben scheint. Etwas klischeehaft bietet sich hier der Traum zum Vergleich an, in welchem Farbe, Geruch, Klang, Atmosphäre oft mehr aussagen sollen als das Symbol selbst – in welchem der Teufel im Detail steckt, vielleicht in dem genauen spezifischen Aussehen der Nebelschwaden. Hören wir den Meister persönlich, wobei ich den englischen Text übersetze:

In einem Traum siehst du vielleicht einen Mann, bei welchem sich anstelle eines Kopfes ein rohes Stück Fleisch befindet. Der Mann liegt am Boden und wächst irgendwie in diesen hinein, während er die ganze Zeit ein Gespräch mit dir führt. Diese Situation (aus einem meiner Träume) erscheint dir nicht überraschend oder erschreckend. Es ist ein gewöhnlicher Traum. Erst, nachdem du erwachst und die Details analysierst, merkst du, dass fast alles an diesem Traum seltsam war und dass es dich verängstigt hätte, wenn du ihm wachend begegnet wärst. Es ist buchstäblich eine Vision, doch gleichzeitig ist Blut hier kein Blut, Schmerz ist kein Schmerz, Verbrechen ist kein Verbrechen und es gibt nichts, wogegen sich protestieren ließe, da es sich als ebenso fruchtbar erwiese wie der Protest gegen den Umstand, dass Schnee fällt. (42)

An anderer Stelle:

Ich male sie [meine Bilder] komplett naiv, als würde ich meine eigenen Träume fotografieren. Ideen kommen mir in Sekundenbruchteilen und ich sehe keinen Grund, warum ich sie als klug, dumm, unmoralisch, konstruktiv oder destruktiv werten sollte. Sie sind mir selbst einfach identisch, und ihre Implementierung ist das Ergebnis eines inneren Bedürfnisses. (14)

Und:

Was ich male ist höher als alles Andere, ein spirituelles Portrait meiner selbst. (39)

Diese Fähigkeit, die eigenen Ideen unberührt zu lassen, die Kontrolle abzugeben – sich ihnen, wie oben schon angemerkt, hinzugeben – ist für das kreative Schaffen essenziell. Beksiński vollendete sie. Er vollendete sie so sehr, dass es unheimlich ist. Eines seiner stets namenlosen Bilder, hier Gemälde 3, verfolgte mich tagelang, als ich es zum ersten Mal gesehen hatte.

https://art.vniz.net/en/beksinski/Beksinski-pic15.html

Gem. 3 (1974, 87 x 87 cm)

Was mich gruselt, ist nicht das Motiv oder das Dargestellte – darum geht es ja ohnehin nie. Es ist der Umstand, dass es mir unmöglich scheinen will, dass diese Szene überhaupt als reales Gemälde existieren könnte – während mir ein kurzer Blick ja beweist, dass es doch so ist. Diese Szene dürfte sich vielleicht in einem Traum abgespielt haben, ja – doch das Unheimliche ist die Macht, die es ermöglicht, sie aus diesen Tiefen des Unbewussten überhaupt in eine physisch manifestierte Form zu bringen. Diese Macht ist es, welche in Beksiński wohnte. Das Bild ist ein lebender Beweis für dieses Ungeheure. Hierzu fällt mir eine Analogie aus der Popkultur ein: Im dritten Teil der Matrix-Filme gelangt das Computerprogramm Agent Smith – wie, weiß ich nicht mehr – aus der Matrix in die Realität. Einen ähnlich unmöglichen Übergang muss es in Beksińskis Bewusstsein gegeben haben, als dieses Bild entstand.

Die rote Gestalt, die Kreatur, der Dämon – was will er von mir? Was will er mir sagen? Warum versteckt er sich? Will er mit mir spielen? Will er mich in die Irre führen? Was führt er gegen mich im Schilde? Beim Nachdenken über diese Fragen zerfließt alles ineinander, der Dämon verwächst mit dem Boden, der Efeu – oder was das ist – mit dem Pavillon und alles wird zu einem Strudel, der mich gefangen nimmt und in die Tiefe zerrt. Darüber thront der prächtige Himmel, doch auch er erscheint tückisch. Ich kann ihm nicht trauen. In dieser Welt kann ich nichts und niemandem trauen, denn nichts ist, wie es zu sein scheint. Für meinen Geschmack ist dieses das grausamste von Beksińskis Gemälden; gleichzeitig ist es eines der subtilsten.

http://beksinski.dmochowskigallery.net/galeria_karta.php?artist=52&picture=2218

Gem. 4 (1981, 73 x 87 cm)

Bei allem Verfall, wie er in vielen der Werke sichtbar wird, wohnt ihnen eine überzeitliche Erhabenheit inne. Es handelt sich um eine unbewusste Schattenwelt, die ihren eigenen Regeln und Gesetzen folgt, in die Beksińskis Gemälde uns blicken lassen wie durch eine Kristallkugel.

Erstaunlich in Gemälde 4 – die Gestalt sieht aus, als klebte sie schon lange an dieser Mauer, sehr lange. Sie ist fliegend an diese Wand geklatscht wie eine Fliege an die Windschutzscheibe eines Autos. „Flatsch“ – plötzlich war sie da, nur ganz kurz der Klang, doch sein Nachhall dauert ewig. Wie lange mag das her sein? Waren es Jahrtausende? Waren es Jahrmillionen? Das Gemälde schweigt; die Gestalt ist tot, doch sie ist nicht wirklich tot, sondern verwächst unaufhörlich mit dem kühlen Stein, immer weiter, dabei immer langsamer, gleichsam asymptotisch. Nichts ist bei Beksiński wirklich tot. Es ist untot, aber nie im plakativen Sinn einschlägiger Literatur und Filme. Das Nicht-Tote existiert fort wie ein verdrängtes Trauma, wie die Narbe eines in Sekundenbruchteilen geschehenen Schnittes, gedehnt durch Zeit und Ewigkeit hindurch, vergessen und oftmals unsichtbar. Diese Welt ist weder Welt noch Jenseits; sie ist die Schattenwelt. Sie ist in uns – wie Dostojewskis Kellerloch – aber sie zeigt sich uns nie, nie so, wie sie ist – wie es ist.

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Gem. 5 (1970, 61 x 81 cm)

Und was ist mit der bemitleidenswerten Kreatur in Gemälde 5? Sie weckt nun doch Assoziationen, die aber unbedingt als Assoziationen stehen bleiben sollen, nicht als Interpretationen: Thema scheint hier, wieder, die Zeit zu sein. Das Unmögliche dieses Bildes liegt dieses Mal in den dunklen Pupillen der humanoiden Gestalt, in der abgründigen Tiefe ihres leeren, von allen guten Geistern verlassenen Blicks. Sie ist das apathischste Wesen, welches ich je gesehen habe. Sie ist wie der Panther aus Rilkes Gedicht. Sie ist eingesperrt, eingesperrt für die Ewigkeit, eine prometheische Strafe. Vielleicht stellt sie das unbewusste Schattenwesen eines Bürosklaven dar; ihre Haltung und Kleidung lässt auf eine gehobene, aber aller Lebendigkeit beraubte Stellung schließen. Nach außen Meister, nach innen Sklave, Sklave der Zeit, Sisyphos. Sie wohnt in jedem von uns und blickt aus der Ferne auf die Welt wie auf einen längst vergangenen Traum, eine Illusion, und hinter ihr erblickt sie das leere Nichts. So sitzt sie da, und jede Erinnerung, die älter ist als dieses Dasitzen, dieses Dasein gehört nicht mehr zu ihrer Existenz. Die verwachsenen Finger, der fehlende Mund zeugen von ihrer Geschundenheit.

Doch denken wir an Beksińskis Worte: Schmerz im Traum ist kein Schmerz in der Welt, und vielleicht gilt das auch für seine Schattenwelt, vielleicht wohnt den Bildern eine Dimension inne, von der all die Schilderungen von Verfall, Nichts, Elend, Morbidität eher ablenken. Nichts ist, wie es scheint. Und je mehr wir über die Bildnisse sprechen, desto mehr entfernen wir uns vielleicht von ihrer eigentlichen Bedeutung.

Von Anfang an habe ich einfach nur versucht, schöne Bilder zu malen. Schön. Das mag verständlicherweise nach Koketterie klingen, und doch ist es das Essenzielle, das Einzige, was zählt. (40)

Unser Künstler hat noch viele weitere Gemälde angefertigt. Dieser Text soll nur eine kurze Einführung sein, ein kurzer Tribut an Beksiński, der das Unmögliche vollbrachte. Zum Abschluss noch einige Zitate des Künstlers zur Kunst und Malerei im Allgemeinen:

In der Kunst gibt es weder universelle Regeln noch wirklichen Fortschritt. (28)

Ich reagiere stark auf Bilder, die keine offensichtlichen Antworten auf ihre Geheimnisse bieten. Wenn es für ihren Aufbau einen Schlüssel gibt, sind sie nichts weiter als Illustration. (33)

Es verfehlt das Ziel, mich zu fragen, was Szenen in meinen Bildern „bedeuten“. Ich weiß es selbst nicht, so einfach ist das. Des Weiteren habe ich keinerlei Interesse daran, es zu wissen. (55)

Bedeutung ist für mich bedeutungslos. Symbolismus ist mir egal und was ich male, male ich, ohne dabei über einen Inhalt zu meditieren. (58)

Ich kann mir keine sinnvolle Aussage über das Malen vorstellen. (70)

Nach diesem Satz, der mein obiges Gerede der Wittgensteinschen Unsinnigkeit preisgibt und mich damit mundtot macht, weiß ich auch nicht mehr, was ich noch schreiben soll. Etwas zum Fortschritt in der Philosophie? Ach ne, lieber nicht. In diesem Sinne folgen noch einige Bilder und schließlich das Quellenverzeichnis. Gute Nacht.

gem6

Gem. 6

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Gem. 7

http://beksinski.dmochowskigallery.net/galeria_karta.php?artist=52&picture=2505

Gem. 8 (1979, 87 x 73 cm)

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Gem. 9 (1976, 73 x 87 cm)

Nachtrag: Nachdem ich eine Nacht über diesen Beitrag geschlafen habe, ist mir bewusst geworden, dass mir Beksińskis stoische Haltung gegenüber seinen Bildern letztendlich nicht nachvollziehbar ist. Sie sind verstörend. Sie sind düster, und vielleicht sind sie auch böse. Spirituell können sie trotzdem sein, und was ihnen – wie allen dunklen Künsten – ihren Wert verleiht, das ist ihre unmittelbare und dadurch entwaffnende Wirklichkeit. Sie sind authentisch. Dazu kommt, dass der Künstler in sie vielleicht jene negativen Energien kanalisiert und bannt, die sich in seinem Leben sonst auf deutlich unbewusstere und unkontrolliertere Weise äußern würden. Beksiński soll ein humorvoller und angenehmer Zeitgenosse gewesen sein.

Ferner können destruktive Mächte helfen, Überkommenes zu zerstören und so Platz für Neues zu schaffen. Man denke nur an Gottheit Vishnu aus dem Hinduismus, den Zerstörer, der aber gleichzeitig die Welt von ihrem Elend reinigt und befreit, auf dass der Zyklus von neuem beginne. Nach dem großen Crash, nach dem Zerfall kommt der Wachstum. Nach dem Sturm kommt die vollkommene Klarheit. Wichtig ist bloß, sich dann auch dem Neuen zu widmen. Im Zweifelsfall sollte man sich von Beksińskis Gemälden abwenden, bevor sie einen auffressen.

Vielleicht reise ich ja trotzdem mal nach Sanok, Polen, wo die meisten seiner Werke – die über die gezeigte Periode seines Schaffens hinausgehen – ausgestellt sind.

Quellen:

Alle Zitate Beksińskis sind dem Buch The Fantastic Art of Beksinski (Morpheus International, 5. Aufl., 2009) entnommen. Die in Klammern angegebene Nummer ist jeweils die Seitenzahl.

Abbildungen:

Gem. 4, 8 von DmochowskiGallery.net, Zugriff am 13.03.2018. Alle anderen Gemälde von Dark Art, Zugriff am 13.03.2018.

Einzelnachweise:

¹Wikipedia-Artikel über Beksiński, Zugriff am 13.03.2018

Ein Gedanke zu “Zdzisław Beksiński: Die Zeit und das Nichts

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