Gedanken zur Willensfreiheit

Die Diskussion um die Frage, ob unser Wille, welcher uns Entscheidungen treffen lässt, frei oder unfrei sei – ob er durch willensformende Parameter determiniert oder nicht determiniert sei –, wird heute oft auf neurobiologischer, psychologischer oder physikalischer Ebene geführt. Ich erlaube mir, hinzuzufügen, dass ich in meinem Buch aus der menschlichen Fähigkeit zur Selbsterkenntnis gefolgert habe, dass das Bewusstsein – irgendwie und irgendwo – aktiv ins materielle Geschehen eingreifen muss. Der indeterministische Kollaps der Wellenfunktion aus der Quantenphysik böte hierfür sogar eine geeignete Schnittstelle zwischen Welt und Bewusstsein.¹

Um solche Details soll es hier aber gar nicht gehen, sondern die philosophische Reflexion soll ganz unbeeinflusst von naturwissenschaftlichen Ergebnissen stattfinden. Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich das Adjektiv „frei“ überhaupt dem Willen zuordnen lässt. Problematisch könnte sein, dass Freiheit meistens „Freiheit von etwas“ bedeutet beziehungsweise voraussetzt (dieses Etwas kann zum Beispiel die Beeinflussung durch Hormone sein), während der Wille als „Wille zu etwas“ stets auf ein Objekt der Begierde gerichtet zu sein scheint (wie zum Beispiel einen bestimmten Menschen bei der Partnerwahl).

Einen freien Willen zu haben und diesen durchsetzen zu können, wird landläufig wohl als Merkmal einer starken, unabhängigen Persönlichkeit gesehen. Vergleicht man dies mit Ideen, wie sie uns vor allem aus fernöstlichen Traditionen bekannt sind, zeichnet sich jedoch ein anderes Bild: Anstelle einer Befreiung des Willens, der auch bei bester moralischer Intention immer Teil eines begehrenden weltlichen Egos bleibt, soll mit der Transzendenz des Egos vielmehr eine Befreiung vom Willen, also vom Akt des Wollens geschehen. An die Stelle der Willensfreiheit tritt so ein Ideal der „Wollensfreiheit“.

Natürlich will der Mensch auch als Befreiter noch dies und das, doch das weltliche Auf und Ab wird ihm ein Stück weit zur bloßen Alltagsbewältigung; er hängt sein Sein nicht mehr an die Früchte seines Tuns. Das ist, so die Tradition, die wahre Freiheit.

Meiner Meinung nach ergibt die Wollensfreiheit auf sprachlicher Ebene mehr Sinn als die Willensfreiheit. Trotzdem ist mein Wille ein essenzieller Bestandteil meiner Persönlichkeit. Es ist im Leben immer wieder wichtig, Beharrlichkeit, Ausdauer oder Mut zu zeigen. Dennoch bleibt der Wille scheinbar stets auf die Erscheinungen der Welt gerichtet; entfernte man diese, so bliebe er ziellos und leer. Aus diesem Grund ist auch jener Wille, der unmittelbar dem Gesetz meiner Seele entstammt, nicht in einem absoluten Sinne „frei“. Er ist nicht frei, weil ich – als Ego, als Seele, als Mensch – nicht frei bin.

Doch kann das die Lösung sein? Sowohl unser Wille als auch unsere Freiheit scheinen schließlich unverzichtbare Aspekte unserer Existenz zu sein. Eine Lösung, wie beide koexistieren könnten, bietet nun ein dualistischer Ansatz Fichtes. Fichte sieht in seiner „Bestimmung des Menschen“ den Willen als Teil einer transzendenten Vernunftwelt, losgelöst vom irdischen Geschehen und damit auch unabhängig vom menschlichen Handeln:

Mein Wille ist mein, und er ist das einige [sic!], das ganz mein ist, und vollkommen von mir selbst abhängt, und durch ihn bin ich schon selbst ein Mitbürger des Reichs der Freiheit und der Vernunftthätigkeit durch sich selbst… Dass in der Sinnenwelt mein Wille… auch noch zur That wird, ist lediglich das Gesetz dieser sinnlichen Welt. Ich wollte nicht so die That, wie den Willen; nur der letztere war ganz und rein mein Werk, und er war auch alles, was aus mir selbst hervorging.²

In seiner Beschreibung, wie beide Welten zusammenwirken, spiegeln sich paulinische Ideale wieder:

Ich lebe und wirke sonach schon hier, meinem eigentlichsten Wesen und meinem nächsten Zwecke nach, nur für die andere Welt, und die Wirksamkeit für dieselbe ist die einzige, der ich ganz sicher bin; für die Sinnenwelt wirke ich nur um der Andern willen, und darum, weil ich für die andere gar nicht wirken kann, ohne für diese wenigstens wirken zu wollen

Der freie Wille nach Fichte ist also nicht per se auf irdische Objekte gerichtet, sondern findet durch diese lediglich seinen Ausdruck. Fichte bietet uns so, im Vergleich mit der genannten „Wollensfreiheit“ eine zusätzliche Differenzierung an. Der Ausdruck meines Willens ist es dann, welcher nicht frei ist. Doch als Lebenskraft existiert mein Wille unabhängig von ihm, für viele sicher verborgen, unsichtbar. Anknüpfend an Nietzsches „Willen zur Macht“ könnte man bei Fichte vielleicht von einem „Willen zum Sein“ sprechen.

Während dies noch keine endgültige Lösung der Frage sein kann (sofern endgültige Lösungen auf philosophische Fragen überhaupt möglich sind), stellt sie jedenfalls einen vielversprechenden Ansatz dar, der das ganze Menschsein berücksichtigt. Genau richtig für einen ersten Blogeintrag.

¹FRÜCHTENICHT, Bengt V. Welt(t)raum. Books on Demand, 2017, S. 248 ff.
²FICHTE, Johann Gottlieb; HOLZINGER, Michael (Hrsg.). Die Bestimmung des Menschen. 4. Aufl., 2016, S. 96
³op. cit., S. 98

 

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